April 7, 2019 8:43 pm

Radikalisierung & Extremismus sichtbar(er) machen

Hilfe, Hoffnung und Ermutigung geben!

Bei meinem letzten 2-Tages-Seminar „Radikalisierung: Das Gefühl ohnmächtig zu sein“ mit PädagogInnen wurde mir von einer Teilnehmerin folgende Frage gestellt: „Wie kann der „stille Teil“ (sie meinte SICH) der Gesellschaft mit den „lauten Schreiern“ – gemeint waren beispielsweise politisch und religiös rassistische, radikale und extremistische Aussagen und Haltungen – besser umgehen?“.

Ich würde grundsätzlich antworten: „Das ist zumindest eine Drei-Tages-Frage“, soll heißen, vor der Antwort gut nachzudenken, weil derzeit einiges darauf hinweist, dass sich die Lage nicht bessert und die Zielscheibe dieser Angriffe die Gesellschaft in ihre Vielfalt ist! 

Angehörige ethnischer Gruppen, nationale oder äußerlich erkennbare Minderheiten, Migrantinnen und Migranten, Menschen, die ihre Religion ausüben, Menschen mit einer anderen sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität sowie Menschen mit Behinderungen sind Opfer von Vorurteilen und verbaler sowie körperlicher Angriffe; und angesichts der weiten Verbreitung und des Schadens, der den Opfern, ihren Angehörigen und der Gesellschaft insgesamt zugefügt wird, muss dringlich darüber nachgedacht werden, wer und wie man in Österreich auf diese Problematik reagieren soll?

Derartige Haltungen verletzen nicht nur das Opfer, sie verstoßen auch fundamental gegen Grundrechte, namentlich gegen die Würde des Menschen und das Recht auf Nichtdiskriminierung und wirken sich auf drei Ebenen auf die Rechte einer Person aus: auf Ebene des Einzelnen, der „Gruppe“ und der Gesellschaft.

Auf Ebene des Einzelnen bedeuten Radikalisierung & Extremismus eine offene Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde einer Person. 

Auf Ebene der „Gruppe“ haben derartige Haltungen das Potenzial, unter Gleichgesinnten auf positive Resonanz zu stoßen, die Gesinnungsgenossen somit zu Gewalt anzustiften und unter der Gruppe der potentiellen Opfer Angst und Einschüchterung zu verbreiten. 

Auf gesellschaftlicher Ebene spielen Radikalisierung & Extremismus ebenfalls eine Rolle, da sie gesellschaftliche Unterschiede und Abgrenzungen innerhalb des sozialen Gefüges verstärken und den grundlegenden Ideen von Menschenwürde, individueller Autonomie und einer pluralistischen Gesellschaft zuwiderläuft.

Radikalisierung & Extremismus gehen also über den Kontext der unmittelbar beteiligten Personen hinaus. Sie betreffen Personenkategorien, die durch bestimmte, im gesellschaftlichen Diskurs verbreitete Vorurteile abgegrenzt und geformt werden. Somit vermitteln Radikalisierung & Extremismus nicht nur an das unmittelbar betroffene Opfer eine bittere „Botschaft“. 

Diese „Botschaft“ ist auch für jene von Belang, die mit den Gruppen sympathisieren und sich durch deren Verhalten in ihren vorurteilsgeleiteten Haltungen bestätigt und gestärkt fühlen und haben Auswirkungen auf die „anderen“, die ein potenzielles Risiko erkennen können, in ähnlicher Weise verletzt, stigmatisiert oder viktimisiert zu werden.

Gleichzeitig gilt es, die mittlerweile weite Verbreitung und „Normalität“ von Radikalisierung & Extremismus zu betonen: „Die Gefühle, die diesen Haltungen zugrunde liegen, sind eng mit dem strukturellen Gefüge der Gesellschaft verwoben und bilden eine zentrale Komponente des „Gesunden Menschenverstandes“, der bei vielen Menschen – wie die Vergangenheit leider nur allzu deutlich zeigt – unter den richtigen Umständen unvermittelt und brutal an die Oberfläche brechen kann; und das ist extrem beunruhigend“.

Aus diesen Gründen ist es von entscheidender Bedeutung, sich mit Radikalisierung & Extremismus politisch, medial und gesellschaftlich deutlich und laut auseinanderzusetzen und diese mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommenen Haltungen zu korrigieren!

„Keine Regierung und keine Bataillone 
vermögen Recht und Freiheit zu schützen, 
wo der Bürger nicht imstande ist, 
selber vor die Haustüre zu treten und 
nachzusehen, was es gibt!“

Gottfried Keller: Züricher Novellen

Günther Ebenschweiger