Mai 9, 2019 2:18 pm

Mobbing: die gesellschafts- und salonfähige Gewalt?

Beispiel „Feindbild Ausländer“!
Bei der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung ist das Phänomen „Feindbild Ausländer“ mit dem phasenorientierten und gruppendynamischen Mobbing-Prozess vergleichbar. Für mich besorgniserregend ist die hohe Emotionalität, die verbale und körperliche Gewaltbereitschaft und der neu entfachte Antisemitismus, mit der dieses „Feindbild Ausländer“ in Österreich zu Tage tritt. 

Mit diesen Zeilen will ich die indirekten Opfer – die ZuschauerInnen – ermutigen, diesen Mobbing-Prozess nicht still und leise hinzunehmen!

Ich zitiere dazu Prof. Dr. Gerald Hüther:

„Stellen wir uns ein Lehrerzimmer vor, wo jeder so tut, als käme er wunderbar mit seinen Schülern zurecht. Niemand verrät, was er für Probleme hat. Jeder leidet still vor sich hin und tut so, als sei er der beste. Als Mitglied eines solchen Teams, in dem ich nicht sagen kann, was ich denke, und wie alle nur eine Rolle spiele, könnte ich mich mit dem Kollegen neben mir auf ein Bier verabreden. Ich könnte ihm dabei erzählen, wie es mir wirklich geht. So zeige ich mich ihm als Subjekt.
Nun, sagen wir es so: Ich bin mutig genug, mich aus meiner Rolle zu begeben und „ich“ zu sein. Und da passiert etwas Verrücktes: Wenn sich einer als Subjekt emanzipiert, macht der andere das meist auch. Da sind wir schon zwei. Dann suchen wir weiter. Und vielleicht werden wir bald fünf sein, die sich einig sind. Dann überlegen wir, wie wir die Situation verändern.“

Der Informations-Versuch

In meiner täglichen Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen bin ich regelmäßig und intensiv mit Fragen zu Feindbildern konfrontiert. In der Gesellschaft allgemein mit dem „Feindbild Ausländer“, in den Seminaren und persönlichen Gesprächen mehr mit dem Thema „Rechtsradikalismus“. 
Diese Entwicklung ist mit dem Mobbing-Prozess vergleichbar: die gesellschaftlichen Veränderungen sind phasenorientiert, die Handlungen der MobberInnen und Verstärker gruppendynamisch und das Verhalten der ZuschauerInnen und der Opfer stimmt grundsätzlich mit der Entstehung von Mobbing überein.

Der Erklärungs-Versuch

Die Testphase:
Mobbing beginnt z.B. in einer Klasse mit der Testphase. Das heißt, ein Bub oder Mädchen – die zukünftigen MobberInnen – beginnt mit kleinen Gehässigkeiten an MitschülerInnen um herauszufinden, wer das größte „Machtungleichgewicht“ in dieser Klasse aufweist. Ist das Kind „gefunden“, wird mit kleinen Störungen – Beleidigungen, Anpöbelungen, Gehässigkeiten, Sachbeschädigungen, Diskriminierungen, Ausschluss … – Mobbing intensiviert; „Verstärker“ kommen dazu und es entsteht eine Gruppe, die jetzt gemeinsam mobben.

Die Konsolidierungsphase:
In den kommenden Wochen steigert sich das Mobbing, für das Opfer wird es immer schlimmer, Mobbing verlagert sich ins Netz, die körperlichen und Angriffe im Netz führen zu körperlichen und seelischen Verletzungen, Ängste sind an der Tagesordnung und die Hilflosigkeit gegen diese massive Gewalt der Gruppe ist ab jetzt Teil der Biografie dieses jungen Menschen. 

Die Manifestationsphase ändert den Werterahmen:
Die dritte und letzte Phase – die „Manifestationsphase“ – bedeutet, alle SchülerInnen (außer dem Opfer) dieser Klasse stehen außerhalb des „Werterahmens“. Für das Opfer bedeutet das jetzt bereits eine stabile und möglicherweise irreversible Opferrolle (psychosomatische Erkrankung, Depression, konkrete Suizidgedanken). 

(Mit-)Entscheidend, dass Mobbing in der Form geschehen kann, ist, dass der Rest der Klasse – die ZuschauerInnen – dem Opfer nicht helfen. Zu hundert Prozent aller SchülerInnen antworten mir auf die Frage, warum sie nicht geholfen haben, mit: „Weil ich Angst hatte, sonst selbst Opfer zu werden!“

Aktuell: Beispiel „Feindbild Ausländer“!

Wenn wir jetzt diesen beschriebenen Mobbing-Prozess auf die aktuelle gesellschaftliche Situation umlegen, finden wir die gleichen Abläufe.

Die Testphase: 
In dieser Phase – die, würde ich behaupten, haben wir schon hinter uns – wurde „getestet“, wie die ÖsterreicherInnen auf Angriffe auf das „Feindbild Ausländer“ reagieren. Es waren und sind genauso die regelmäßigen, die wöchentlichen „kleinen“ Sticheleien, Vorwürfe, Ausschlüsse, Beschimpfungen, wie in der Klasse.

Die Konsolidierungsphase:
Es gab und gibt – vermutlich auch aus Angst sonst selbst körperlich oder verbal angegriffen oder ausgeschlossen zu werden – kaum „Verteidigungen“ gegen diese Form des Mobbings und es gibt auch kaum Wissen über diese Prozesse und über erforderliches Verhalten. 

Die Manifestationsphase:
Die Manifestationsphase würde bedeuten, wir alle meinen „die Ausländer haben das ja verdient“ und verlassen damit den „noch“ bestehenden Werterahmen  – z.B. das Verständnis zur Demokratie, die Achtung vor Menschrechten, die Hilfsbereitschaft für andere. Nelson Mandela hat gesagt: „Gewalt gedeiht dort, wo die Achtung vor Menschenrechten fehlt!“ 

Wir als Gesellschaft sind gemeinsam befähigt, diesen phasenorientierten und gruppendynamischen Mobbing-Prozess in Form von verbaler, seelischer und körperlicher Gewalt gegen das „Feindbild Ausländer“, zu stoppen!

Ich hoffe, es gelingt uns!

Günther Ebenschweiger