April 27, 2020 11:12 am

Wenn Opfer „geopfert“ werden

In der aktuellen Zeit drehen sich viele Informationen um die Opfer von häuslicher Gewalt, die aus meiner Sicht den an der Seele und am Körper verletzten Menschen – insbesondere Frauen und Kindern – mehr schaden als nutzen!

Ich habe schon mehrfach geschrieben, wie wichtig und entscheidend der mediale Umgang mit Opfern ist, denn mit dem Begriff „Opfer“ sind vielfältige Zuschreibungen verbunden. Der Ausdruck teilt Schuld und Unschuld zu und impliziert zugleich Ohnmacht, Hilflosigkeit und Schwäche.

Warum?
„Opfer“ ist ein universeller Begriff und ich habe hier einen kurzen Auszug aus einem „taz“-Artikel genommen: „Die Bezeichnung Opfer werte Menschen als „wehrlos, passiv und ausgeliefert“ ab, ist dort zu lesen. Wenn jemand erzählt, er habe einen Autounfall gehabt, blicke man danach nicht anders auf diese Person. „Genau das passiert aber, wenn man „Autounfall“ durch beispielsweise „häusliche | sexualisierte Gewalt“ ersetzt.“ Man möchte fragen: Welches Opfer von Gewalt „erlebt“ sich wohl als wehrhaft, aktiv und selbstbestimmt? 

Das Schlüsselwort nennt sich „Trigger“ und wird auch durch die mediale Berichterstattung verursacht, die psychische Reaktionen (Reize) bei den Betroffenen auslöst, welche zu extremer Angst und Panik bis hin zu real empfundener Todesangst führen und der Alltägliches wie Fahrten mit der Straßenbahn, Einkaufen, Arbeiten oder „einfach nur leben“ für traumatisierte Menschen unerträglich machen können. 

Diese Reize sind unter anderem auch „Opfer„-Bilder, die dem Erlebnis ähneln; zum Beispiel eine verletzte Frau. Auch Mimik, Gestik, Verhalten, Situationen, Töne, Klänge, Stimmlagen usw. können – in einem Wort zusammengefasst – Trigger sein. 

Eine gesonderte Beurteilung bei der Anzeigebereitschaft muss bei den Gewaltdelikten im häuslichen Bereich bzw. sozialem Umfeld vorgenommen werden. Hier zeigt sich häufig das Phänomen, dass sich Opfer auch selbst für die Tat verantwortlich fühlen und auch Schamgefühle spielen eine große Rolle.

Ich wiederhole mich
Wer auch immer „unbekümmert“, über Medien und ganz besonderes über „Opfer“-Bilder an der Seele und am Körper massiv verletzte Menschen – das sind vorwiegend Frauen und Kinder – als Opfer anspricht, erreicht damit genau das Gegenteil; nicht die Hilfe, die Information, die Ermutigung stehen im Vordergrund, sondern die ausgelösten Trigger erzeugen negative Emotionen, Ängste, Scham, Hilflosigkeit, Einsamkeit uam. bei diesen tausenden von Gewalt betroffenen und „verletzten Menschen“. 

Ich würde mir wünschen, wenn Österreich und hier ganz besonders die Medien – um bei den von häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffenen Menschen diese psychischen Reaktionen von Angst, Scham, Hilflosigkeit zu vermeiden – auf eine andere positive Art von Trost, Unterstützung, Geduld, Anteilnahme und Motivation setzt.

Günther Ebenschweiger