28. Mai 2020

Es „brodelt“! Das Virus als Mittel zum Zweck

Die strikten Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Verbreitung des neuartigen Coronavirus haben Auswirkungen auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft und des Alltagslebens. Während die Fallzahlen global steigen und das Virus und seine Folgen unter enormem Druck bekämpft und erforscht werden, bleiben hinsichtlich der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen viele Unsicherheiten bestehen. 

Diese werden von Extremistinnen und Extremisten jeder Ausrichtung und somit auch von rechtspopulistischen und rechtsextremen sowie islamistischen Akteuren ausgenutzt. Sie versuchen, ihre (Um-)Deutungen der Pandemie in die sogenannte Mitte der Gesellschaft zu tragen. 

Die Ausbreitung des Coronavirus geht also mit der Verbreitung von durch Extremistinnen und Extremisten eingebrachten Narrativen und Falschmeldungen einher. Innerhalb kurzer Zeit erreichen sie damit Tausende Menschen – nicht nur, aber vor allem über soziale Medien.

Ungeahnte Risiken 

Wenn man einen bestimmten Beitrag oder Inhalt auf einer Social-Media-Plattform (wie beispielsweise YouTube, Facebook oder Twitter) anschaut, likt oder teilt, werden einem – aufgrund von Algorithmen – ähnliche Inhalte anderer Profile oder weitere Beiträge desselben Users vorgeschlagen. Durch das Liken solcher Inhalte kann es leicht passieren, dass Personen zunehmend radikalere Inhalte konsumieren.

Es scheint wahrscheinlich, dass dieser Prozess durch die Pandemie beeinflusst wird: Durch die weit verbreitete Einschränkung des öffentlichen Lebens verlagert sich ein großer Teil der sozialen Interaktion in die virtuelle Welt. Folglich verbringen zumindest einige Menschen mehr Zeit in sozialen Medien und werden demzufolge auch häufiger mit Narrativen aller Art konfrontiert. 

Das würde beispielsweise erklären, weshalb einige Kanäle rechtsextremer Akteure beim Messenger-Dienst Telegram innerhalb der letzten Wochen hunderte neue Abonnentinnen und Abonnenten hinzugewonnen haben.

Einige Expertinnen und Experten befürchten, dass die Selbstisolierung zudem die individuelle Anfälligkeit gegenüber extremistischen Erzählungen erhöhen könnte und dazu führt, dass die Ausbreitung extremistischer Inhalte und Verschwörungstheorien, insbesondere über das Internet, beschleunigt werden. 

Allerdings muss ebenso klar verdeutlicht werden, dass keine Person plötzlich radikale Einstellungen entwickelt oder gar gewaltbereit wird, nur weil sie vermehrt auf Inhalte extremistischer Akteure stößt.

Fazit

Verschwörungstheorien und fake news, die sich derzeit nicht nur, aber vor allem über das Internet verbreiten, können das Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie zwischen ihnen und ihren Regierungen negativ beeinflussen, insbesondere in außergewöhnlichen und unsicheren Zeiten wie diesen. 

Soziale Spaltungen und bereits vorhandene gesellschaftliche Polarisierung und Schieflagen – die in Krisenzeiten besonders sichtbar werden – sind ein idealer Nährboden für Hass und Gewalt und werden von Extremistinnen und Extremisten häufig ausgenutzt. 

Es ist anzunehmen, dass extremistische Akteure die Corona-Pandemie auch künftig nutzen werden, um weitere (rassistische) Gewaltakte zu rechtfertigen und Hassrede zu betreiben. 

Außerdem ist zu vermuten, dass sie die aktuelle globale Gesundheitskrise zum Anlass nehmen, ihre Ideologie zu verbreiten – und deshalb muss nicht nur der Verbreitung des Virus selbst, sondern auch dessen extremistischer Vereinnahmung entschieden entgegengetreten werden: In Zeiten wie diesen muss der soziale Zusammenhalt entschlossener denn je verteidigt werden. 

Hieran sollten sich Akteure verschiedener gesellschaftlicher Ebenen beteiligen: Sowohl die Gesetzgeber und Strafverfolgungsbehörden als auch zivilgesellschaftliche Organisationen, Medien und jede und jeder Einzelne. Insbesondere bedarf es einer gezielten Förderung und Stärkung von Medienkompetenz von klein auf. 

Manjana Sold ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Mitglied der Forschungsgruppe „Radikalisierung“ und arbeitet im Projektverbund PANDORA. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen dabei insbesondere auf der Rolle des Internets in Radikalisierungsprozessen und auf der Verbindung zwischen virtueller und realweltlicher Radikalisierung. Sie promoviert zu Mobilisierungstechniken extrem rechter und salafistischer Akteure in der virtuellen Welt.

Clara-Auguste Süß ist Politikwissenschaftlerin und derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt am Main. Sie ist Teil der dortigen Forschungsgruppe „Radikalisierung“ und forscht im Rahmen ihrer Dissertation zu islamistischer Radikalisierung, politischer Transformation und Marginalisierung in Tunesien.

Quelle: bpb.de / Auszug

https://www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention/308634/das-virus-als-mittel-zum-zweck-extremistische-um-deutungen-der-corona-pandemie