4. Juni 2020

Rassismus – entgleist auch bei uns die Demokratie?

Bruce Springsteen als Intro zum Song “Born to Run“:

„In the end, nobody wins, unless everbody wins“
Keiner gewinnt, wenn nicht alle gewinnen!

Die aktuelle Situation in den USA macht deutlich, wie rasch Systeme kippen können und das erinnert mich an eines meiner letzten Sozial-Trainings.

Eine Schule, eine Klasse, 25 junge Menschen und ein männliches Opfer. Ein junger Österreicher, nicht weißer Hautfarbe, freundlich, sympathisch und trotzdem Opfer von massivem Rassismus, Gewalt und Mobbing.

Sozial-Training bedeutet ja nicht nur systemische Prävention und Intervention, sondern auch das Ansprechen der Vergangenheit und es wurde deutlich, dass nicht nur dieser junge Mann, sondern auch andere SchülerInnen rassistischen Angriffen und ideologisch motivierter Gewalt ausgesetzt waren und vermutlich auch heute noch sind.

Von klein auf müssen diese Menschen mit Ausgrenzung und rassistischen Fremdzuschreibungen umgehen, dieser Rassismus wird von ihnen internalisiert und ist Teil eines geringes Selbstwerts. Diese Fakten bedingen teilweise schwerwiegende psychische Folgen für die Betroffenen und solche „Dramen“ konnte ich im Rahmen einer einwöchigen Schulung von Jugendlichen hautnah, dramatisch und gefühlsmäßig stark betroffen erleben.

Wie werden die Anderen zu Anderen gemacht?

Um die Funktion und komplexe Wirkungsweise von Rassismus verstehen und kritisch reflektieren zu können, ist es wichtig, sich mit seinen grundlegenden Mechanismen vertraut zu machen: Charakteristisch für Rassismus ist, dass auf Grundlage verschiedener Merkmale – physischer, kultureller oder religiöser Merkmale (zum Beispiel ein Kopftuch, eine Kippa), Herkunft oder Nationalität, Menschen kategorisiert und zu Gruppen zusammengefasst werden – mit der Konsequenz, dass sie nicht mehr als Individuen wahrgenommen und nicht als Individuen behandelt werden. 

Aus Worten werden Taten

Die Frage ist also, wann kippt eine legitime Position in eine abwertende, verallgemeinernde, ideologische, einseitige Botschaft bzw. wann wird aus einem legitimen Protest und Kritik Abwertungen, Feindbilder, Rassismus, Extremismus?

Trotz großer Fortschritte erleben wir auch heute mehr denn je die zerstörerische Kraft von Rassismus; Hate Speech ist ein geflügeltes Wort!

Rassistische Taten sind Hassverbrechen, sie richten sich gegen Menschen, nur weil diese sind, was sie sind – oder wegen dem, was TäterInnen in ihnen sehen, erschüttern damit zutiefst die Lebensqualität und das Sicherheitsgefühl der Opfer; und die Grundlagen unserer Demokratie. 

Rassismus und die Mitte der Gesellschaft

Rassismus ist aber keine Ausnahmeerscheinung, kein Phänomen, das sich auf vereinzelte rechte Gruppierungen beschränkt. Durch alltagsgebräuchliche Argumentationen wird seit Jahren – leider erfolgreich – versucht, rassistische und rechte Positionen mehrheitsfähig und unangreifbar zu machen. Je mehr sich dabei die Grenzen dessen, was wir ohne Kritik und ohne uns zu schämen sagen (dürfen), in der Gesellschaft nach rechts verschiebt, eine umso höhere Aufmerksamkeit und Sensibilität ist entscheidend, um Rassismus zu erkennen.

Das bedeutet, dass Rassismus dann seine massive Wirkungsmacht entfaltet, wenn er von der Mehrheitsgesellschaft als ausgesprochener und unausgesprochener Konsens (mit-)getragen wird.

Hier wird ganz deutlich, dass Wissen, Haltung und Sensibilität erforderlich sind, um rassistische Grundmuster zu erkennen. 

Umso dringender ist es, dass wir als Verantwortliche und EntscheidungsträgerInnen für viele Menschen – und da zähle ich ganz auf die (jungen) engagierten DemonstrantInnen – Aus-, Fort- und Weiterbildungs-Angebote bereitstellen. 

„Demokratien sterben – wie die Politikwissenschaftler Steven Levitsky und Daniel Ziblatt überzeugend darlegen – heute nicht mehr durch einen gewaltförmigen Putsch, sondern durch schleichendes Erodieren demokratischen Engagements und demokratischer Werte.“

Um Rassismus zu überwinden, muss dieser also zuerst erkannt werden; denn wo keine Gefahr gesehen wird, kann auch keine Lösung gefunden werden! 

Das heißt: Am Ende gewinnen wir alle oder niemand!

Günther Ebenschweiger