November 13, 2020 3:16 pm

Den Innenminister unterstützen!

Es ist die typische Schlagzeile, um LeserInnen anzusprechen, denn ich denke, Hr. Innenminister Nehammer schafft es selbst sehr gut, sich zu schützen!

Ich schreibe das deshalb, weil mir in dieser teilweise ausartenden Diskussion nach dem Terroranschlag eines fehlt; die Sachlichkeit, die Kompetenz, die Zuständigkeiten, die Verantwortungen und das Wissen zu Extremismus und Prävention von Radikalisierung.

Für eine rationale Handlungsplanung ist es aber wichtig, auf ein gemeinsames Verständnis der Begriffe Extremismus und Radikalisierung zu setzen.

Radikalisierung bedeutet aus der aktuellen Fassung von „RadigZ“ – Radikalisierung im digitalen Zeitalter – Analyse und Prävention“ durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. und dem Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration (KomRex) der Friedrich-Schiller-Universität Jena folgendes:

Radikalisierung:
„Radikalisierung beschreibt nach unserem Verständnis eine Entwicklung von Einstellungen, Wertehaltungen und Handlungen hin zum Extremismus im Sinne der im nächsten Abschnitt erläuterten Definition. Diese Entwicklung kann Individuen, Gruppen, Institutionen und Staaten betreffen. Allerdings müssen Radikalisierungsverläufe nicht zwangsläufig zum Extremismus führen. Vielmehr können Radikalisierungsverläufe auch stagnieren oder abklingen. Extremismus stellt demnach nur ein mögliches Ergebnis von Radikalisierungsprozessen dar.“ 

Extremismus: 
„In der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion wird häufig zwischen Rechts-, Links- und salafistisch-dschihadistischem Extremismus unterschieden und es werden jeweils eigene Definitionen erstellt.“

Im RadigZ-Verbund haben wir eine phänomenübergreifende Definition gewählt. 
„Demnach ist Extremismus von Einstellungen, Wertehaltungen und Handlungen geprägt, welche durch eine signifikante Abweichung von bestimmten gesellschaftspolitischen Systemnormen gekennzeichnet sind und in ihren Zielen aktiv die Etablierung neuer Normsysteme anstreben.

Es müssen somit zentrale Systemelemente der Gesellschaftsordnung betroffen sein. Wir definieren Extremismus nicht anhand einer Abweichung vom politischen Status quo, ergo dem derzeitigen gesellschaftspolitischen System oder den derzeitigen politischen Verhältnissen, sondern wählen bestimmte Grundwerte – die allgemeinen Menschenrechte, das Demokratieprinzip und die Rechtsstaatlichkeit – als Bezugsgrößen. 

Die Abweichung von diesen Normen kann sich auf verschiedene Weisen manifestieren und Resultat unterschiedlicher Radikalisierungsverläufe sein.“ 

Das heißt für mich

  1. für den Extremismus ist somit originär das Innenministerium, die LVT’s und BVT’s und die Strafgerichte verantwortlich;
  2. für die Radikalisierung und deren Prävention wären zumindest auch das BM für Arbeit, Familie und Jugend, BM für Bildung, Wissenschaft und Forschung, BM für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und das BM für Kunst, Kultur, öffentl. Dienst und Sport verantwortlich.

Derzeit nur über den Extremismus und nicht gleichzeitig auch über Radikalisierung und Prävention zu reden – wie es den Medien zu entnehmen ist – blendet die Chance aus, zukünftigen Extremismus zu verhindern!

Folgenden Zukunftschancen verschließen wir uns damit:

  1. Kinder und Jugendlichen einen Weg aufzuzeigen, der die Identität, die familiären, bildungsbezogenen, religiösen und kulturellen Themen berücksichtigt;
  2. Kinder und Jugendliche für die Attraktivität von Demokratie, Gesellschaft, Frieden, … zu motivieren;
  3. Kinder und Jugendliche selbst vor Radikalisierung zu schützen;
  4. Kinder und Jugendliche, die von radikalem Gedankengut umgeben sind, dagegen zu stärken;
  5. Radikalisierung und Prävention phänomen- und ideologieübergreifend zu betrachten;
  6. Kinder, Jugendliche und Erwachsene vor extremistischer Gewalt zu bewahren und
  7. zukünftige Anschläge gegen die Gesellschaft zu unterbinden.

Was braucht’s, um Radikalisierung zu beeinflussen und Extremismus zu verhindern?

  1. Die ressortübergreifende Zusammenarbeit und die Bündelung aller vorhandenen Ressourcen;
  2. die klare Erklärung dieses Themas zur Chefsache;
  3. die klare Stellungnahme zu einem deutlichen „JA“ zur Prävention gegen Radikalisierung;
  4. die Schaffung interdisziplinärer Fachgremiem auf mehreren Ebenen – Städte, Länder, Bund – mit ausreichender finanzieller Ausstattung und
  5. die professionelle Vernetzung von Prävention auf Augenhöhe, mit Intervention – Bewährungshilfe – Deradikalisierung – Strafrecht.

Wenn wir wie bisher, nur den Extremismus durch die Polizei und Strafgerichte bekämpfen lassen, bedeutet das: „Wir erlauben als Gesellschaft, als EntscheidungsträgerInnen, dass sich die Kinder, Jugendlichen, Erwachsenen zuerst phänomen- und ideologieübergreifend radikalisieren und wir erlauben damit auch, dass sie dann Anschläge und Tötungen begehen und wir erst nach einem solchen „Worst-Case-Szenario“ die ExtremistInnen bekämpfen!

Diesen Präventionsansatz habe ich schon am 27. Februar 2015 auf Bundesebene vorgeschlagen; leider gab und gibt es bis heute keine positive Reaktion darauf! 

Mein Wunsch!

Ich würde mir wünschen, dass nicht nur das BMI, sondern alle betroffenen Ministerien und ohne Ausnahme alle politischen Parteien an einem Strang ziehen, um mit geeinter Kraft Radikalisierung und somit Extremismus zum Schutz der Österreicherinnen und Österreicher gemeinsam verhindern!

LG
Günther Ebenschweiger