28. März 2019

Selbstwirksamkeit?

Zahlen vs. Professionalität

Die Schisportsaison ist zu Ende, die Fußballsaison hat durchgestartet. Was haben diese beiden Aktivitäten gemeinsam? 

Klar, beide sind Sportbereiche, beide haben mit Zahlen zu tun; bei den SchifahrerInnen sind es die Hunderttausendstel-Sekunden bei den Fußballern sind es die Tore und – das ist auch entscheidend – SportlerInnen erleben unmittelbar und persönlich Selbstwirksamkeit.

Aber nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern auch das Publikum, die Förderer – z.B. Wirtschaft und Politik – und die Medien, die je nach erreichten Zahlen – Sekunden oder Tore – die Person oder die Mannschaft hochjubelt oder verdammt!

Der Vergleich
Wie sieht das aber zum Beispiel im Bildungs- oder Sozialbereich bei PädagogInnen oder Sozial- und JugendarbeiterInnen aus; wo wird hier die Selbstwirksamkeit erlebt; ganz ehrlich; unmittelbar grundsätzlich gar nicht!

Mein Beispiel Nr. 1:
Ich arbeite mit einer Oberstufenklasse in einem Gymnasium zum Thema Extremismusprävention; unmittelbar an der Frage „Was bedeutet Gemeinschaft“. Während der Diskussion ruft plötzlich ein Jugendlicher in meine Richtung „Sie sind ja nur da, weil sie uns Ausländer nicht mögen!“. Ich reagiere nicht sofort auf diese „Provokation“, sondern leite den Workshop weiter. Bei einer weiteren Frage „Wo seht ihr euch nach der Matura?“, meldet sich der gleiche Bursche und sagt kurz und bündig: „Im Putztrupp!“ Ich verstehe das nicht ganz und frage nach. Er sagt: „Sie sehen ja, ich bin Türke, glauben Sie wirklich, dass ich mit meinem Aussehen einen Job bekomme?“

Jetzt reagiere ich pädagogisch: „Ich habe gehört, was du vorhin bzgl. Ausländer gesagt hast und ich verstehe dich auch aus deine Sicht und ich akzeptiere deine Aussage nicht, weil sie nicht stimmt. Ich bin hier, nicht weil ich Ausländer nicht mag, sondern weil ich versuche Lösungen anzubieten und ich würde gerne mit euch darüber diskutieren!“ 

Jetzt entwickelt sich ein freier Diskurs und eine ideale Sprechsituation! 

Meine Selbstwirksamkeit kann ich aber nicht in Zahlen gießen, sondern ist ausschließlich meiner Professionalität geschuldet. Aber wie erkläre ich das Förderern, den Medien, der Wirtschaft?

Mein Beispiel Nr. 2:
Ich leite einen Workshop „Konflikte und Gewalt“ mit Flüchtlingen und werde von einem Mädchen gefragt, wie ich zum Thema Kopftuch und Niqab stehe? Während ich noch am Nachdenken bin, antwortet ein männlicher Flüchtling „Das steht im Koran!“

Gut, dass ich „Interreligiöser Dialog“ an der Donau-Universität Krems studiert habe! Ich antworte: „Ja, das stimmt, das steht im Koran, allerdings über die Verhüllung in drei Suren über die Frauen Mohammeds, über Frauen generell und über Frauen und Männer gemeinsam“ und ich würde gerne dieses Thema für eine Diskussion aufgreifen.

Wir diskutieren ohne Bewertung auf Augenhöhe – wir bagatellisieren und dramatisieren nichts – und dabei stellt sich heraus, dass die jugendlichen Flüchtlinge wenig über den Koran wissen und sehr interessiert sind, auch meine Meinung zu hören.

Meine Selbstwirksamkeit ist auch hier nicht in Zahlen zu messen. Was mir hoffentlich gelingt – ich werde es ebenso wenig erfahren wie PädagogInnen sowie Jugend- und SozialarbeiterInnen – ist, mit meiner Professionalität einerseits zum Nachdenken und zur Reflexion anzuregen und damit andererseits Zweifel an den Aussagen von politischen und religiösen ExtremistInnen zu säen bzw. zu erzeugen.

Mein Fazit:
In unserer Gesellschaft zählen vorwiegend Zahlen; im Sport, der Kultur, der Politik, den Medien und der Wirtschaft.

PädagogInnen, KindergärtnerInnen, Jugend-, Sozial- und Streetworker oder auch ich als Präventionsexperte, brauchen daher seitens der EntscheidungsträgerInnen – der Förderer, der Medien, der Wirtschaft, der Politik – viel Verständnis und insbesondere den Blick auf die Professionalität und nicht nur auf die Zahlen.

Schätzen wir daher die tägliche Arbeit vieler MultiplikatorInnen in Bildung, Soziales, Gesundheit, Sicherheit ua., bewerten wir sie nicht nach Zahlen, sondern nach ihrer Professionalität und stärken wir politisch, wirtschaftlich, medial und gesellschaftlich diesen wertvollen persönlichen Einsatz für unsere Gesellschaft und für unsere Zukunft.

Professionalität bedeutet Forschungswissen, bedeutet Praxiswissen, bedeutet Empathie und Vertrauen und bedeutet Wertschätzung gegenüber den Zielgruppen und somit lebenslanges Lernen. Die Schnittmenge aus diesen Parametern bedeutet Professionalität, auch wenn diese tägliche Arbeit nicht unmittelbar in Zahlen gemessen werden kann.

Ich bekenne mich zu dieser Professionalität und – um einen Werbespruch zu nehmen – „dafür stehe ich mit meinem Namen!“

Günther Ebenschweiger