13. April 2019
Gefahr im Verzug
Wenn Systeme versagen!
Ein Danke an Graz!
Das konkrete Beispiel:
Ein Klassenvorstand einer Schule kontaktiert mich, weil in seiner Klasse – wie er mir mitteilt – rassistische Vorfälle vorkommen. Da ich unterwegs bin, vereinbaren wir einen Besprechungstermin in der Schule.
Der Lehrer und eine weitere Klassenvorständin erwarten mich und erzählen mir folgendes. In der einen Klasse gibt es Rassismus und Diskriminierungen (Anmerkung: Rechtsradikalismus) gegen SchülerInnen mit Migrationshintergrund, in der anderen Klasse gibt es vermutetes massives Cybermobbing, bis hin zu angeblichen Online-Aussagen „bald bist du tot!“.
Beide versichern mir, alles in ihrer Macht stehende unternommen zu haben; leider ohne Erfolg, daher die Kontaktaufnahme mit mir!
Die nächste Frage, die mir gestellt wird ist, ob mein Einsatz etwas kostet. Nachdem ich das Bejahe, holen die beiden die Direktorin und erzählen von den Vorgängen in den Klassen und der Dringlichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Hier ist einerseits deutlich ein hohes Engagement der PädagogInnen und andererseits die Überforderung und Hilflosigkeit zu erkennen.
Nachdem die Direktorin weiß, dass z.B. ein zweitägiges Konflikttraining etwas kostet, ist ihre ernüchternde Aussage: „Ihr wisst, für Eltern darf Bildung nichts kosten und das Budget für 2019 ist schon vergeben. So gerne ich helfen würde, mir sind die Hände gebunden; meldet auf alle Fälle euren „Bedarf“ für 2020 an!
Gefahr im Verzug Nr. 1
„Eltern darf Bildung nichts kosten?“, bezieht sich auf die Bezahlung eines – wie in diesen Fällen – dringliche Maßnahme gegen Gewalt (Radikalisierung und Mobbing). Ich frage mich, was den Eltern letztlich mehr „kostet“, die Bezahlung eines Konflikttrainings oder die Auseinandersetzung mit den intensiven Folgen für diese jungen Menschen, wie beispielsweise „Stockholm-Syndrom“, „Posttraumatischer Belastungsstörung“, „Traumata“ oder auch das „Erlernen“ von „Gewalt-Strategien“.
Auf alle Fälle macht diese Gewalt – in welcher Form auch immer – mit den Kindern bzw. Jugendlichen etwas; und das kostet nicht nur den Eltern, sondern auch der Gruppe bis hin zur Gesellschaft ein Vielfaches mehr als ein Konflikttraining!
Gefahr im Verzug Nr. 2
Gewalt – egal in welcher Form – besitzt insofern eine besondere Qualität, als sie nicht nur den Täter und das Opfer betrifft, sondern die Gesellschaft insgesamt, d.h., Gewalt wirkt sich auf drei Ebenen aus: auf Ebene des Einzelnen, der Gruppe und der Gesellschaft.
Auf Ebene des Einzelnen bedeutet Gewalt eine Verletzung der Seele, des Geistes und des Körpers einer Person.
Auf Ebene der Gruppe hat Gewalt das Potential, bei anderen Menschen auf positive Resonanz zu stoßen, somit beispielsweise zu weiteren Menschenrechtsverletzungen anzustiften und unter der Gruppe der potentiellen Opfer, z.B. einer Klasse, Angst und Einschüchterung zu verbreiten.
Auf gesellschaftlicher Ebene spielt Gewalt ebenfalls eine Rolle, da sie den grundlegenden Ideen von Menschenwürde, individueller Ziele – in Ruhe arbeiten, in Frieden leben und Erfolg im Leben haben – sowie einer pluralistischen Gesellschaft zuwiderläuft.
Gewalt im Verzug Nr. 3
Wir alle brauchen ein regelmäßiges Feedback. Wie geht es aber MultiplikatorInnen – z.B. KindergärtnerInnen, PädagogInnen, Jugend- und SozialarbeiterInnen ua. – wenn sie, wie die beiden PädagogInnen, ein solches Feedback auf ihr Engagement, auf das Wahrnehmen von Problemen und dem Wissen, etwas tun zu wollen, erhalten? Ich habe es den beiden angesehen; niedergeschlagen, ohnmächtig, persönlich betroffen und ratlos!
Wir brauchen uns daher nicht zu wundern, wenn zwischen den Erfordernissen, die sich aus der teilweisen Übertragung von Erziehung von Eltern auf Kindergarten und Schule und der daraus resultierenden täglichen Überforderung, MultiplikatorInnen werden, die sich durch das „Versagen“ von Systemen wertlos, hilflos, mit ihren dringlichen Wünschen nicht wahrgenommen, allein gelassen und durchaus auch krank fühlen.
Gewalt im Verzug Nr. 4
Kinder und Jugendliche sind ExpertInnen in Kindergarten, Schule, Beruf und Freizeit und erwarten sich bei Bedarf konkrete Unterstützung durch die sie begleitenden Erwachsenen. Sie merken zumeist aber schnell, dass sie sich darauf nicht verlassen können und schweigen, suchen bei sich selbst die Schuld, bewältigen ihre Opfererfahrungen mit Defensiv- und | oder Anpassungsstrategien um ihr Leid zu reduzieren, erleiden dadurch eine Sekundärviktimisierung und | oder leiden an dauerhaften Ängsten!
Die gesamte Situation führt letztlich zu massiven kognitiven und emotionalen Störungen dieser jungen Menschen – soviel auch zu den „Kosten“!
Zum Schluss ein positives Beispiel!
Im Jänner hat mich eine Schulleiterin aus Graz genau zu diesen Problemstellungen kontaktiert und ich habe ihr nach einem ersten Reflexionsgespräch Konflikttraining empfohlen.
Die Schulleiterin – in derselben Situation wie am Beispiel zu Beginn – hat im Büro von Stadtrat Kurt Hohensinner angefragt und es wurden unbürokratisch die Kosten für die Konflikttrainings übernommen.
An dieser Stelle daher ein großes Danke und Lob an Stadtrat Kurt Hohensinner, MBA und an sein Team!
Tatsache bleibt, dass für persönliche und gesellschaftliche Entwicklungen im Kontext „Bildung“ – und auch in anderen Bereichen – nach wie vor „Gefahr im Verzug“ besteht, solange Systeme junge Menschen und ihre menschlichen Bedürfnisse – wie das konkrete Beispiel zeigt –, nach Zahlen, Kosten und starren Vorgaben bewerten.
Günther Ebenschweiger
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