17. August 2019
Must-haves einer professionellen Prävention
Nach wie vor ist es erschütternd festzustellen, wie wenig die Strategie Prävention in der österreichischen Bevölkerung bekannt ist und angewendet wird.
Was schon ganz gut klappt ist die Übersetzung in „Vorbeugung“, hier endet aber zumeist schon das Wissen über Prävention und seine Wirksamkeit.
Gänzlich unbekannt ist – und das beinahe in allen Altersstufen – dass Präventionsstrategien und -maßnahmen unterschieden werden in universelle, selektive, indizierte Ansätze und auch noch in systemische Prävention und Intervention.
Daraus folgt, dass viele nach wie vor der Meinung sind, Prävention kann jeder! Dass es aber für die komplexen Entwicklungen, phasenorientierten Prozesse, gruppendynamischen Phänomene, für Vorurteilsstrukturen, Dissozialität, „Zone der nächsten Entwicklung“, eine absolut fundierte wissenschaftliche und praxisorientierte Ausbildung braucht, wissen die wenigstens.
Daher steht zwar oftmals „Prävention“ drauf, „Prävention“ ist aber nicht drin!
Auch der Spruch „Je früher desto besser!“ stimmt nicht; richtig ist ein entwicklungsangemessener und rechtzeitiger Ansatz!
Was ist also Prävention?
Unter Prävention kann der geplante, d.h. der begründete Versuch verstanden werden, mit bestimmten (psychologischen, pädagogischen, sozialwissenschaftlichen …) Mitteln (Methoden) das Verhalten und Erleben (Emotion, Kognition) von Menschen und deren (intraindividuelle) Entwicklung auf ein vorab definiertes und normativ begründetes Ziel zu verändern.
Diese Veränderungen können darin bestehen, individuelle Kompetenzen zu stärken oder Risiken der menschlichen Entwicklung abzuschwächen, um problematische Verhaltensweisen oder psychische Störungen zu verhindern oder die Widerstandsfähigkeit und Gesundheit zu stärken.
Arten und Zielgruppen der Prävention
Universell: alle Personen
Selektiv: Personen mit erhöhtem Risiko
Indiziert: Personen mit beginnenden Problemen oder Vorläuferproblemen
Praxiologische und akademische (wissenschaftliche) Fundierung bedeuten Professionalität und somit eine Wirksamkeitswahrscheinlichkeit!
Und daraus ergeben sich folgende „Must-haves“ für die professionelle Prävention
Gute Ausbildung: Vielfach steht zwar Prävention drauf, es ist aber keine Prävention drin. Für mich persönlich ist das beschämend, weil damit – insbesondere bei den Zielgruppen der Kinder und Jugendlichen und ganz besonders bei einzelnen jungen Menschen, die an der Seele und | oder am Körper verletzt wurden – immenser Schaden angerichtet werden kann. Jemand der z.B. durch ein Machtungleichgewicht gegenüber der Gruppe Opfer von (Cyber-)Mobbing wurde, wird noch mehr beschämt, verunsichert und „versinkt“ weiter in Hilflosigkeit.
Daher mein Vorschlag: Wer immer eine Präventionsmaßnahme anbietet – und dabei spielt es keine Rolle ob gratis oder sündteuer –, sollte um seine Referenzen zur wissenschaftlichen und praxisorientierten Fundierung gefragt werden.
Gute Vorbereitung: Entscheidend ist schon das Wissen im Vorfeld über die Lernziele der Organisation, über Vorfälle, das Alter, Geschlecht; daher ist ein erstes Reflexionsgespräch vor der Präventions-Initiative praktisch verpflichtend!
Aufbau einer „Beziehung: Die Zeit dafür ist kurz, daher braucht es seitens der | des ReferentIn ein gutes Gespür und ein professionelles Handling; z.B. durch eine Biografiearbeit!
Keine Frontalvorträge: Bedingt durch die Medienaffinität der Kinder und Jugendlichen braucht es einen Methoden-Mix mit ausreichend Zeit zur Diskussion. Reine Frontalvorträge sind mittlerweile „No-Go’s“ im Bereich der Prävention.
Keine Zusammenlegung von Klassen oder Gruppen: Die wissenschaftlich belegte Macht (ich nenne es Stärke) der Peergroup unterbindet eine Diskussion oder Interaktion innerhalb der Klassen | Gruppen und mit der oder dem ReferentIn!
Daher kann bei Zusammenlegungen von Gruppen, auch keine professionelle Präventionsmaßnahme gesetzt werden. Die Erfahrungen zeigen, dass dann Kinder und Jugendliche entweder stören oder sich mit ihren Smartphone beschäftigen; aber weder kognitiv noch emotional am präventiven Angebot teilnehmen.
Keine Stigmatisierung: In der Präventionsarbeit gibt es den Leitsatz „Es darf niemand negativ markiert werden!“, d.h. niemanden zu stigmatisieren. Gerade im Zusammenhang mit Radikalisierung „Religion, Migration, Politik“ aber auch bei Mobbing mit „Opfer- und Täter-Ansprache“ werden rasch Gruppen, aber auch einzelne stigmatisiert.
Keine Sekundärviktimisierung: Sekundärviktimisierung bedeutet, dass eine Organisation, z.B. Schule für Schüler oder Firma für Lehrlinge ein Präventions-Angebot anbietet, das Angebot aber für die Situation nicht passt.
Beispielsweise wenn eine dreistündige Mobbing-Prävention durchgeführt wird, es aber schon Opfer in der Klasse | Gruppe gibt – daher eine zweitägige systemische Mobbing-Intervention durch ein Sozial-Training notwendig gewesen wäre – und jetzt die Opfer neuerlich Opfer werden und die MobberInnen gestärkt aus dieser „Präventions-Maßnahme“ hervorgehen.
Mehr-Ebenen-Ansatz: Eine professionelle und wirksame Präventionsmaßnahme wirkt – um die entscheidenden Veränderungs-Impulse und -prozesse einzuleiten, zu verankern und zu vertiefen – am besten dann, wenn ein „Mehr-Ebenen-Ansatz“ umgesetzt wird.
Das bedeutet, dass beispielsweise in einem 1. Schritt die PädagogInnen, TrainerInnen, AusbildnerInnen vorbereitet, in einem 2. Schritt bei Bedarf die Eltern informiert und im 3. Schritt die Kinder, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen beispielsweise in Vorurteilsprävention oder phänomenübergreifender Prävention „geschult“ werden; wobei – je nach Zeitressourcen – die Reihenfolge durchaus auch veränderbar ist. Es geht dabei nicht jemanden zu überzeugen, sondern um die Motivation zur Veränderung zu suchen.
Reflexion & Ermutigung: ReferentInnen sollten vor, während und nach ihrem Präventionseinsatz weiter für die Zielgruppen – hier insbesondere für MultiplikatorInnen, wie z.B. PädagogInnen, AusbildnerInnen, TrainerInnen … – zur Kontaktaufnahme zur Verfügung stehen.
Ohne diese Maßnahme wird – und das ist meine 30jährige Erfahrung – kaum Ermutigung erreicht. Veränderungs-Impulse bis hin zu Veränderungs-Prozessen brauchen diese Unterstützung durch die | den ExpertIn!
Günther Ebenschweiger