28. Februar 2020

Wenn Mann tötet

Es werden Emotionen und Betroffenheit geheuchelt, Schlagzeilen säumen (noch) unseren Weg und hunderttausende Frauen (und Kinder) in Österreich – die täglich Gewalt erfahren – werden in ihrem unglaublichen Leid, in ihrer Ohnmacht und ihren Ängsten im Stich gelassen.

Mythen über Gewalt
Das sind doch nur Familienstreitigkeiten, das gibt’s doch überall!
Gewalt gibt es nur in unteren sozialen Schichten und Problemfamilien!
Frauen provozieren Gewalt!
Ursachen männlicher Gewalt sind Alkohol, Drogen und Kontrollverlust!
Das ist vor allem ein Problem von Migrantenfamilien!

Eine erschreckende – aber nicht überraschende – Entwicklung
Das Jahr 2020 ist noch jung und schon wieder wurden Frauen von Männern getötet; und die hohe Opfer-Zahl scheint mittlerweile nicht nur stabil zu sein, sondern sogar zu steigen. 

Eine erschreckende Entwicklung, die mich umso trauriger, umso ratloser, umso ohnmächtiger macht, weil Gewaltschutz – wie der Name schon sagt – beim Schützen vor Gewalt ansetzt und nicht erst beim Beenden von jahre- oder jahrzehntelanger Gewalt.

Zahlen – Dunkelfeld
Nicht nur die Zahlen bei familiärer, Partner- bzw. Beziehungsgewalt sind hoch, auch das Dunkelfeld ist hoch und beträgt bei dieser Gewaltform rund 85 Prozent. 

Opfer und Täter: Alle Schichten
Zwei Drittel der Frauen, die von schweren körperlichen, psychischen und sexuellen Misshandlungen betroffen sind, beziehen ein eigenes Einkommen, gut ein Drittel mittlere bis hohe Einkommen, ein Drittel der misshandelten Frauen haben (Fach-)Abitur, Studium oder Meisterabschlüsse.
Drei Prozent der Männer, die ihre Frau schwer misshandeln, haben weder einen Schul-, noch Ausbildungsabschluss, ein Drittel der Täter verfügen über die höchsten Bildungs- und Ausbildungsgrade und etwa zwei Drittel der gewalttätigen Männer leben in Haushalten mit mittlerem oder gehobenem Einkommen.

Doppelte Unsichtbarkeit der Gewalt gegen Frauen
Gewalt findet nicht in der Öffentlichkeit statt, ist leider bis heute nicht von öffentlichem Interesse, die Norm ist, dass das soziale Umfeld nicht oder kaum interveniert und ist – insbesondere durch das Gefühl der Scham und der inadäquaten Reaktion der Gesellschaft – mit einem Veröffentlichungstabu „belegt“.

Betroffene Kinder
Befragte, die in Kindheit und Jugend selbst häufig oder gelegentlich Gewalt durch Erziehungspersonen erfahren haben, waren dreimal so häufig wie andere Frauen von Gewalt in Paarbeziehungen betroffen. Frauen, die Opfer von sexuellem Missbrauch vor dem 16. Lebensjahr geworden sind, wurden mehr als doppelt so häufig später Opfer von Gewalt durch (Ex-)Partner, und sie wurden – unabhängig vom Täter-Opfer-Kontext – viermal häufiger Opfer von sexueller Gewalt ab dem 16. Lebensjahr. 

Das zeigt, dass der Schutz von Kindern vor körperlichen und sexuellen Übergriffen eine zentrale Maßnahme auch für die Prävention von Gewalt gegen Frauen im Erwachsenenleben darstellt.

Multiple Ängste – ein aktuelles Beispiel:
Im Rahmen eines Sozial-Trainings beginnt ein Mädchen (12 Jahre) immer wieder zu weinen. Sie ersucht die Klassenlehrerin und mich um ein Gespräch nach dem Training. Die anderen SchülerInnen sind zwar weg, aber das Mädchen weint; an ein Gespräch ist vorerst nicht zu denken. 

Nach zehn Minuten erzählt uns dann das Mädchen, dass ihre Mutter über viele Jahre von ihrem Vater nicht nur geschlagen, sondern auch vielfach mit dem Messer bedroht wurde. Sie erzählt, dass sie beginnend mit dem Kindergarten, über die Volksschule bis vor wenigen Monaten einfach nur Angst um sich selbst und um die Mutter hatte. Seit drei Monaten seien sie vom Vater getrennt, eine Anzeige wurde erstattet; was aber bleibt ist die Angst des Mädchens, dass die Gewalt wiederkommt.

Berührend ist, dass sich das Mädchen mehrfach bei uns beiden dafür entschuldigt, uns mit ihrer Gewaltgeschichte zu belasten!

Respektvolle Kommunikation
Selten erleben gewaltbetroffene Frauen, dass ihnen mit Respekt begegnet wird. Daher ist es unbedingte Anforderung an AnsprechpartnerInnen, die vorhandenen Stärken wahrzunehmen und der Gesprächspartnerin mit Respekt zu begegnen.

Wir sollten fragen, welche Lösungsmöglichkeiten sich die Frau überlegt hat und diese ernst nehmen, wie sie ihre eigene Gefährdung und die ihrer Kinder einschätzt, wie die Kinder auf die gewalttätige Situation reagieren und fragen, was ihr helfen könnte, sofern sie mit dem gewalttätigen Partner weiter zusammenleben möchte.

Wir sollten ihre Entscheidung respektieren, auch wenn Sie nicht einverstanden ist, nicht versuchen die Frau von einem besseren Plan zu überzeugen und sie nicht zur Trennung drängen, aber ihr helfen, Wege zu finden, die Schutz vor weiterer Gewalt ermöglichen.

Vermitteln wir der Frau, dass famiäre, häusliche Partner- oder Beziehungs-Gewalt ein Unrecht ist, welches durch nichts zu rechtfertigen ist; es gibt immer auch einen anderen Weg, als den der Gewalt, bestätigen Sie die Wahrnehmung der Frau, dass es sich bei Schlägen, Ohrfeigen, erzwungenem Sex, Beleidigungen, Geld wegnehmen, Kontakte verbieten usw.) um Gewalt handelt und weisen wir sie auf konkrete Unterstützungsangebote vor Ort oder in der nahen Umgebung hin.

Für mich gibt es eine klare Haltung: Jeder Form der Gewalt – egal ob in Erziehung, Beziehung, strukturell ua. – ist intolerant und respektlos!

Der Mann als Täter?
Ich habe im Vorjahr als einziger Mann in Österreich die StoP-Ausbildung (Stadtteile ohne Partnergewalt) an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg mit einem Zertifikat mit dem Ziel abgeschlossen, in Österreich als Mann Beziehungsgewalt zu verhindern und Frauen zu schützen. 
Leider war das eine zu naive Vorstellung, denn wenn ich versuche, Verständnis für Gewaltprävention zur Verhinderung und Reduzierung von Gewalt gegen Frauen zu wecken, sehe ich mich ausschließlich Frauen gegenüber und ich ernte – mehr oder weniger – nach dem Motto: Wie kann ein Mann so dreist sein, sich in „Frauenthemen“ einzumischen! – fragende bis hin zu unverständlichen Gesichtsausdrücken.

Interdisziplinär, ressortübergreifend und geschlechterneutral
Um Erziehungs-, Beziehungs- und sexualisierte Gewalt zu beenden, brauchen wir einen Perspektivenwechsel; von der vorgegebenen Zuständigkeit zur gemeinsamen Verantwortung.

Das heißt konkret:

Prävention
Gewalt zu reduzieren bzw. zu beenden bedeutet in einem ersten Schritt mehr Gewalt-Prävention – universell, selektiv und indiziert – als Vorbeugung und Veränderung innerhalb der Gesellschaft und bedeutet gleichzeitig aber auch mehr Professionalität durch Netzwerk- und Kooperationsmanagement, durch „erzwungene“ und kontrollierte Zusammenarbeit und begleitende wissenschaftliche Evaluation. 

Wir werden auch in Österreich nicht umhinkommen, niederschwellige Angebote neu zu denken, um Menschen vor Ort einen angstfreien Zugang zu Information zu ermöglichen und gleichzeitig in Form eines Controllings weitere Schritte auf Wunsch zu begleiten.

Politik
Gewalt in Familien, Beziehungen, Partnerschaften und im sozialen Umfeld sind keinesfalls von einem Ressort zu stemmen. Hier braucht es Interdisziplinarität mit ExpertInnen, gleichzeitig einen ressort- sowie geschlechterübergreifenden Ansatz; also ExpertInnen aus Prävention und Intervention und Frauen und Männer! Zuständig ist – und das betone ich seit zehn Jahren – die gesamte Bundesregierung!

Medien
Medien – und zwar egal welche – könnten einen immensen Beitrag zur Gewaltverhütung und -verringerung leisten, wenn sie nicht nur über die Morde berichten und damit Ängste schüren, sondern auch regelmäßig professionell darüber berichten und Menschen – ob jung oder alt – ermutigen, den entscheidenden Schritt aus der „Opferrolle“ zu machen.

Gewaltfreie Zukunft
Die zukünftigen Reaktionen der Verantwortlichen – auf welcher Ebene auch immer – werden zeigen, ob wir in Österreich reif genug sind, die Komplexität zu verstehen und in Angriff zu nehmen, um Kinder und Frauen zu schützen, oder ob wir weiterhin nach außen so tun also ob alles Bestens sei und Kinder, Frauen, Familien, bis hin zur Gesellschaft mit ihrem immensen Leid im Stich lassen.

Die Geschichte wird zeigen, ob wir den Respekt gegenüber Kindern und Frauen aufbringen, um sie vor Gewalt zu schützen und Klartext reden, oder ob wir ihnen weiterhin respektlos nur mit Worten und nicht mit Taten begegnen!

Sind wir Teil des Problems oder sind wir Teil der Lösung?
„Die Gewalt gegen Frauen wirft weniger die Frage nach der Qualität einer Beziehung als nach der Qualität eines Gemeinwesens auf.“ (Carol Hagemann-White)

Günther Ebenschweiger
+43-676-4 25 4 25 4
info@aktivpraeventiv.at

www.aktivpraeventiv.at
www.mobbing-zentrum.at
www.warnsignale.at (in Arbeit, folgt)