8. Juni 2020

WARUM?

„Nach dem Doppelmord in Kärnten werden Gewalttaten an Frauen einmal mehr in den Fokus gerückt. Seit 2014 hat sich die Zahl der Frauenmorde hierzulande verdoppelt. Österreich liegt europaweit im Spitzenfeld bei Gewalt an Frauen.“
Kleine Zeitung vom 8.6.2020 (Titelseite)

Ich habe schon so oft geschrieben – https://www.aktivpraeventiv.at/category/blog/ ­– und dabei darauf hingewiesen, dass nach wie vor jeglicher Präventionsansatz gegen Gewalt an Frauen – und ich erweitere um Kinder – in Österreich fehlt und damit diese Gewalttaten und Schlagzeilen zunehmen werden; aus meiner Sicht eine Schande für Österreich!

Zitate

Zwei Zitate von Kindern, die Gewalt an ihrer Mutter miterlebt haben (aus Kinder legen Zeugnis ab, von Philomena Strasser)

„Die Schläge, die meine Mama bekam, spürte ich in meinem Bauch von einem hin und her Zerren … das machte mich traurig, und [ich] bekam Angst. Mein Bauch hatte Angst, manchmal hatte er um meine Mama Angst, manchmal sogar hatte ich um meinen Vater Angst. Dass er nicht weiß, was er tut“. (Amela 12 Jahre alt)

„Er hat sie dann auf den Boden geworfen, hat sich auf sie draufgesetzt und hat sie gewürgt und so. Die Mutter ist fast blau angelaufen. Ich bin auf dem Bett gesessen und habe ganz laut geschrien: Hör auf! Und einmal habe ich ihn sogar geschlagen mit der Hand, aber nicht zu fest, weil fester habe ich mich nicht getraut, – so mit der Hand auf den Rücken, so: Hör auf Papa!“ (Daniela, heute erwachsen).

„Was der Mutter geschieht, kann auch mir passieren…“, so benennt der Psychoanalytiker Petri (1995) die existenzielle Angst der Kinder, die sich gekoppelt mit der erlebten Hilflosigkeit und Ohnmacht, ihrer Mutter nicht helfen zu können, zum nachhaltigen Trauma steigern kann. Dabei kommt es weniger darauf an, wie realistisch die Gefahr ist, sondern wie die unkontrollierte und explodierende Gewalt des Vaters sich in der Fantasie des Kindes zu einer tödlichen Macht verwandelt.

Zuerst die Ersten – jetzt bald die Letzten

Wir waren mit dem Sicherheitspolizeigesetz und den Gewaltschutzzentren zwar die Ersten in Europa, haben uns dann aber auf dieser sehr wichtigen „Interventionsschiene“ ausgeruht, offenbar mangels Wissen darauf gesetzt, dass das reichen wird und auf Prävention gegen Gewalt an Frauen und Kindern vergessen; und somit auch auf die tausenden Opfer und das unvergessliche und traumatisierende Leid vergessen.

Auch wenn ich über die Berichterstattung zu den Gewaltthemen in den Medien nicht immer einverstanden bin, scheint es mittlerweile der einzige Weg zu sein, EntscheidungsträgerInnen zu motivieren, zusätzlich zu den Interventions- auch ganz konkrete, langfristige, wirksame und nachhaltige Präventionsangebote nicht nur anzudenken, sondern auch umzusetzen.

Seit Jahren weise ich zusätzlich darauf hin, dass dieser Themenkomplex zur „Chefsache“ erklärt werden muss – also beim Bundes- und Vizekanzler als Vertreter der Regierung angesiedelt werden muss – weil es nicht nur um Sicherheit, sondern auch um Soziales, Bildung, Gesundheit, Kinder, Jugendliche und Familie … geht; d.h. dieser Themenkomplex nur interdisziplinäre von Wissenschaft und Praxis professionell gelöst werden kann.

Meine Wünsche!

Mit diesen Wünschen – um Opfer zu reduzieren und Opfern zu helfen – wende ich mich neuerlich an den Hr. Bundes- und Vizekanzler, die als Verantwortliche der Bundesregierung und als Männer eine entscheidende Rolle gegen Gewalt an Frauen haben!

  1. ein neues Verständnis für Gewalt-Prävention z.B. in Schulen, als Partner der Prävention, weil wir damit mit einem professionellen Mehrebenen und -phasenmodell heutige und zukünftige Generationen davor bewahren können, Opfer und | oder TäterInnen zu werden;
  2. Förderungen für (primäre) Prävention zusätzlich zu den Interventionsansätzen, weil es ein paar Jahre dauern wird, die Gewalt in der Gesellschaft zu thematisieren und die Opfer zu reduzieren;
  3. ein neues Verständnis und neue Kooperationen für mediale Unterstützung;
  4. eine gesellschaftliche Haltung zu (häuslicher) Gewalt; Gewalt ist nicht tolerierbar, ist nicht zu akzeptieren und durch nichts zu rechtfertigen. Solange wir darüber diskutieren, ob eine Ohrfeige Gewalt ist oder nicht, solange unterstützen wir damit die Rechtfertigungsstrategien der TäterInnen;
  5. Kampagnen, die beide Geschlechter berücksichtigen! Wenn Frauen als Opfer und Männer als Täter postuliert werden, werden auch in Zukunft Frauen Opfer und Männer Täter bleiben;
  6. weg mit den „triggernden“ Fotos. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn selbst in Kampagnen gegen Gewalt nach wie vor Opfer-Fotos verwendet werden; pure Trigger für Opfer und eine Schande für die, die so was trotz besseren Wissens noch einsetzen;
  7. neue Formen von persönlicher Beratung. Die Hemmschwelle für Opfer, sich an jemanden zu wenden, ist riesig. Mitentscheidend ist, die sachliche Aufklärung am besten vor Ort, ohne Druck und das Verständnis für die Situation; dafür haben wir mittlerweile LifeScout – www.lifescout.at – entwickelt.

Damit wir mit Österreich gegen Gewalt an Frauen und Kindern wieder die Ersten werden!

Günther Ebenschweiger