26. September 2020

Eine mächtige Wirkung!

Vom Sozial-Training zur Kindesabnahme!

Eine Woche Sozial-Training an einer Schule mit 2. Klassen brachte erschütternde Ergebnisse!

Ein Sozial-Training hat die Ziele 

  1. die Klassengemeinschaft zu stärken;
  2. Mobbing-Opfer zu identifizieren, zu unterstützen und zu schützen;
  3. den PädagogInnen, Betreuungspersonen, SchulsozialarbeiterInnen … einen Einblick in gruppendynamische Phänomene zu ermöglichen;
  4. den Unterricht und das Lernen zu erleichtern;
  5. wenn gewollt, den Eltern bei der Bewältigung der täglichen erzieherischen Herausforderungen unter die Arme zu greifen;
  6. für Kinder, Jugendliche, Eltern und PädagogInnen zum Stressabbau, zur Gesundheitsförderung und zum Verständnis an Bildung beizutragen und
  7. damit gemeinsam mehr Erfolg im Leben zu haben!

Diese Woche war anders; wirklich komplett anders!

Wir haben – wie sonst auch – beispielsweise am ersten Tag in dieser Klasse zuerst die Störungen in und durch die Klasse ermittelt, Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen besprochen und diskutiert, mittels „Lob-Brief“ herausgefunden, wer die Menschenrechte gut einhält, uns über Mobbing und Gewaltformen unterhalten und ausgetauscht und letztlich haben wir mit einer anonymen Übung – wie in beinahe allen Klassen und Schulen – ein Mädchen als Mobbing-Opfer identifiziert.

Den zweiten Tag starteten wir mit einer Übung zur Wiederholung, der Skalierung der Frage „Wie fühle ich mich in dieser Klasse“ und einem Märchen darüber, was bedeutet es respektvoll und wertschätzend zu sein.

Anschließend folgte – wie sonst auch – die systemische Intervention zur Aufarbeitung des Mobbings in dieser Klasse.

Die Suizid-Drohung

Nach dieser systemischen Intervention und eine Stunde später, begann allerdings ein Mädchen überraschend zu weinen, meinte dass es nichts Wert sei, fragte sich, warum es überhaupt auf der Welt sei, wenn alle – und in diesem Fall Mädchen – so auf sie losgingen und sagte laut, dass sie die jahrelangen Hänselungen, das Ausgeschlossensein, die vielen Beleidungen uam. nicht mehr aushalte und lieber Selbstmord begehen würde, als so weiterzuleben.

Wir machten sofort eine Pause und gleichzeitig wurde mir erschreckend bewusst, was covid-19 zusätzlich anrichtet. Die SchülerInnen und wir konnten das Mädchen nicht wie sonst umarmen und trösten, sondern wir saßen – auf Abstand bedacht – da und konnten nicht ausreichend menschlich und fürsorglich reagieren und – meine Anmerkung am Rande: diese psychischen Schädigungen kann man – um das eigene Gewissen zu beruhen – nicht einfach mit Geld „bereinigen“, sondern dazu braucht es professionelle Hilfe vor Ort!

Ich bat die Schulsozialarbeiterin diese überraschende Situation mit den Mädchen zu besprechen. Sie verließ mit den Mädchen die Klasse, die nach einiger Zeit einzeln und verweint wieder zurückkamen. Mit dem letzten Mädchen kam sie persönlich zurück und auch hier konnte man die Traurigkeit des Mädchens spüren und die Tränen sehen.

Der zweite Tag Sozial-Training endete – zumindest dem Anschein nach – wie viele davor mit sehr viel Erleichterung, Zuversicht, Motivation und Hoffnung auf eine gewalt- und mobbingfreie Zukunft dieser Klasse und einen besseren Lernerfolg; das letzte Mädchen blieb mit der Schulsozialarbeiterin in der Klasse.

Der nächste Tag; ein erschütternder Bericht

Bereits beim Betreten der Schule spürte ich eine Veränderung. Die Schulsozialarbeiterin kam auf mich zu, bedanke sich bei mir und erzählte mir folgendes: 

Das letzte Mädchen habe ihr am Vortag erzählt, dass sie sich – ermutigt durch meinen Zugang zu den Menschenrechten und meiner Haltung gegen Gewalt – vorgenommen hat, am zweiten Tag des Sozial-Trainings ihr jahreslanges Martyrium, das sie und ihre drei Geschwister zuhause erleiden, in der Schule zu erzählen; was sie auch tat. 

Sie erzählte nicht nur von der brutalen Gewalt, sondern zeigte auch ihre umfangreichen Verletzungen und ihr Bruder, der auch in diese Schule geht, bestätigte unabhängig davon die Angaben seiner Schwester. Daher wurden auf Grund von Gefahr im Verzug unmittelbar nach meinem Sozial-Training dem Ehepaar alle vier Kinder abgenommen.

Die Betreuungslehrerin, die ebenfalls an meinem Sozial-Training teilnahm, kam ebenfalls mit Tränen auf mich zu und hätte mich – wenn es nicht covid-19 gäbe – ziemlich sicher innig umarmt und abgebusselt, so glücklich war sie, dass diesen Kindern gegen jahrelange massive elterliche Gewalt geholfen werden konnte. So klopfte sie mir als Dank statt dessen verlegen auf die Schulter!

Warum ist Sozial-Training noch kein Standard?

Bei einer Nachbesprechung wurde ich gefragt, warum dieses Programm nicht Standard in Österreich sei und warum es nur mich gibt, der durch die Trainer-Ausbildung dieses Sozial-Training anbieten kann.

Die Antwort viel mir nicht leicht, war aber kurz: 

Seit 35 Jahren beschäftige ich mich mit Prävention. In diesen Jahren gab es 16 Bundesregierungen und nicht eine einzige zeigte nur annähernd Interesse an Prävention und somit am Schutz der Kinder vor Gewalt!

Mein anfänglicher Zorn ist mittlerweile einer Art Traurigkeit und einer tiefen Beschämung gewichen, weil ich nicht verstehe – und noch weniger akzeptiere –, warum nur in jene Gewaltopfer, die vielfach nach jahrzehntelangen massiven Gewalterfahrungen, physische, psychische, emotionale und kognitive Schädigungen und Traumata erleiden, investiert wird!

Es scheint so, dass wirklich niemand in Österreich daran interessiert ist, Menschen – und hier ganz besonders Kinder und Frauen – vor Gewalt zu schützen und ihnen dieses massive Leid zu ersparen!

Prävention als Potential für den Schutz von Kindern wird in Österreich massiv missachtet und Förderungen und Zuschüsse ­– in selbstverständlich wichtige Interventionsmaßnahmen – werden bewusst oder unbewusst mit dem falschen Etikett „Prävention“ versehen; die Gründe dafür bleiben mir allerdings verborgen!

Meiner Meinung nach fehlt einfach der Respekt für Prävention, dem immensen menschlichen Bedürfnis für Gewaltfreiheit und speziell für eine wertschätzende und achtsame Entwicklung der Kinder!

LG
Günther Ebenschweiger