November 5, 2020 4:49 pm

Der „faule Apfel“

Der Anschlag in Wien hat viele Emotionen in uns aufgewühlt und – davon bin ich zutiefst überzeugt – hat uns in Österreich in Mark und Bein getroffen. Wie bei einem Einbruch in mein Haus, meine Wohnung, ist schlagartig das Sicherheitsgefühl weg und ein zumeist irrationales Unsicherheitsgefühl in Form von Angstgefühlen, Wut und Hilflosigkeit macht sich breit.

Emotionale Gedanken, die sich im Kopf abspielen, die uns teilweise den Boden unter den Füßen wegziehen, die urplötzlich die fehlende Sicherheit im persönlichen Lebensraum Realität werden lassen; und: die nicht per Kreditkarte ausgeglichen werden können. 

Der „faule Apfel“ und die Gewaltprävention

Der „faule Apfel“ – und das wissen wir alle – lässt auch andere Äpfel faulen. Da hilft es nur, diesen Apfel rasch zu entfernen, sonst sind die anderen Äpfel schon „angesteckt!“

Und genau das passiert, wenn es nur die Intervention gibt, also, wenn der „faule Apfel“ am Ende seines Fäulnis-Prozesses entfernt wird; er hat in seinem Umfeld schon einen immensen Schaden angerichtet.

Meine Erfahrungen mit dem „faulen Apfel“

Seit Jahren arbeite ich immer vor Ort – manchmal „an der Front“ – mit Prävention gegen Gewalt – Mobbing, häusliche und sexualisierte Gewalt, patriachale Gewalt, Jugend- und Jugendgruppengewalt – mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen und meine Erfahrungen zeigen, einen „faulen Apfel“ gibt es fast immer.

Ich kann jetzt zwar die anderen Jugendlichen (Äpfel) nicht entfernen, aber ich kann sie durch Prävention in Form von Verständnis, Aufklärung, Motivation, Ermutigung, Erfahrung, theoretischer und praxisbezogener Professionalität stärken, um nicht vom „faulen Apfel“ angesteckt zu werden.

Was nicht hilft – und das habe ich schon oben kurz beschrieben – ist Intervention, die ist wichtig und entscheidend, die Ansteckung ist aber schon erfolgt und – was wir nicht wissen, ist – wie viele junge Menschen und junge Erwachsene sind schon angesteckt worden?

Brutaler Weise gilt das nicht nur für Radikalisierung und Extremismus, sondern auch für alle anderen Formen von Gewalt. Ein „fauler Apfel“, der seine Frau schlägt, hat kein Interesse aufzuhören bzw. das Weiterfaulen zu beenden. Der noch „gesunde Apfel“ (z.B. die Frau) wiederum, hat – auf Grund des Fehlens von Prävention und niederschwelliger Angebote – keine Chance, dem „faulenden Apfel“ zu entkommen; das gilt auch für sexualisierte Gewalt, für Mobbing, für Erziehungsgewalt …!

Mein Fazit

Ohne professionelle und somit wirksame, nachhaltige und gewollte Prävention gegen Gewalt – und das ist immer Chefsache – faulen die Äpfel mehr und mehr und wir sind – wie im aktuellen Fall – möglicherweise nicht mehr in der Lage, die noch gesunden Äpfel zu stärken und zu schützen.

LG
Günther Ebenschweiger