4. März 2021

Sekundärviktimisierung

Wenn Frauen von Frauen „geopfert“ werden!

In der heutigen Kronen Zeitung findet sich auf Seite 31 eine mich emotional berührende (aufregende) Glosse von Gabriela Gödel unter dem Titel „Mini“-Weinstein?

Meine über 30jährigen (Gewalt-)Präventionsaktivitäten handeln von solchen Fällen:

Beispiel 1:

An einem Freitagabend, steht ein Direktor einer Schule vor meiner Tür und erzählt mir, dass ein „alt gedienter“ Pädagoge ein Mädchen verbal sexuell belästigt hat und jetzt das Lehrerkollegium geteilter Meinung dazu ist. Viele würden sagen: „Das Mädchen solle keinen Aufstand machen und nicht „wehleidig“ sein. Wenn es sowas nicht aushalte, hätte es an der Schule auch nichts verloren!“

Ich war dann mehrere Tage an dieser Schule, um das Lehrerkollegium zu schulen und einigen klar zu machen, dass die persönliche Empfindung des Mädchen entscheidend ist und nicht die Meinung des Lehrers oder des Kollegiums! Tage danach haben mit viele PädagogInnen angerufen und sich entschuldigt, nicht schon früher etwas gesagt zu haben.

Beispiel 2:

Im Rahmen eines eintägigen Seminars mit weiblichen Führungskräften zum Thema „Angstfreiheit im Job“ stelle ich mit Bestürzung fest, dass es zwei zentrale Themen gibt: Mobbing am Arbeitsplatz und | oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. 

Das was mir diese Frauen über ihren beruflichen Alltag erzählen, empfinde ich als grausam, vor allem deshalb, weil es die Frauen und auch mich ohnmächtig macht und ich die Chancen in diesen Firmen und gesellschaftlich etwas zu verändern, auf Grund der Haltung von Männern und Frauen als gering einstufe.

Beispiel 3:

Ein Gewaltpräventions-Workshop mit Frauen. Dazu muss man wissen, dass ich in meiner Arbeit emotional berühre, um Haltungen und Perspektiven zu reflektieren und damit persönliche Wahrnehmungen und somit Wirklichkeiten bei diesen Menschen verändere.

Diese emotionale Berührung erzeugt aber auch „Trigger“, sodass ich auch bei diesem Workshop am Beginn darauf hinweise und ersuche, wenn Trigger auftreten, mir das zu sagen oder zu zeigen oder den Raum zwischendurch zu verlassen. Eine der teilnehmenden Frauen steht nach zwei Minuten Stille auf und sagt: „Herr Ebenschweiger, in diesem Raum gibt es keine Frau ohne Gewalterfahrungen!“

Sekundärviktimisierung

Wenn jetzt eine Richterin – Zitat aus der Kronen Zeitung – zum Opfer von sexueller Belästigung sagt: „Ich glaube, Sie träumen von warmen Eislutschern!“, dann erleidet das weibliche Opfer sexualisierter Gewalt von einer Richterin eine Sekundärviktimisierung, d.h. das weibliche Opfer wird durch diese Aussage neuerlich Opfer.

Menschen – und hier ganz besonders Kinder und Frauen – die schon einmal eine Sekundärviktimisierung erfahren haben, sei es im familiären, sozialen, beruflichen oder auch gesellschaftlichen Umfeld, denen fehlt zumeist die Motivation und | oder der Mut, es noch einmal zu versuchen und sie „ergeben“ sich ohnmächtig jahrelangen Gewaltsituationen.

Das Hell- und Dunkelfeld zeigt das eindeutig. Bei Beziehungsgewalt werden nur 15 Prozent der Gewalttaten zur Anzeige gebracht und bei sexualisierter Gewalt sind es nur sieben Prozent.

Mein Wunsch

Ich würde mir wünschen, dass im konkreten Fall die Richterin und generell wir als Gesellschaft bei diesen Themen mehr Sensibilität zeigen und – wenn uns die Situation als Angesprochene, ZuhörerIn, FreundIn, NachbarIn überfordert –, wir nicht das Gewaltopfer im Stich lassen, sondern uns selbst Unterstützung holen, um dann diesen Menschen zu helfen.

Soweit es meine Zeitressourcen zulassen, bin ich gerne bereit, zuzuhören, meinen Rat zu geben, zu vernetzen und zu unterstützen. 

Günther Ebenschweiger