6. Februar 2022
Idealvorstellungen präventiver Kinderschutz
Die Wünsche, die zum Schutz der Kinder erhoben werden, orientieren sich gleichzeitig an der Gesundheitsförderung und an Faktoren, die sich gemäß der Ursachenforschung als hauptverantwortlich für das Zustandekommen von Misshandlungen und Gewalt herauskristallisiert haben. Oberstes Ziel präventiver Maßnahmen sind die Identifikation und Verwirklichung solcher (Umwelt-)Bedingungen, die dem Wachstum und der Entwicklung der Kinder maximal förderlich sind.
Das Modell von Straus, Gelles und Steinmetz
Straus, Gelles & Steinmetz (S. 235ff.) haben in ihrem Bestseller „Behind closed doors” schon 1981 eine Abfolge von fünf Schritten zur Reduktion von Gewalt innerhalb der Familie erstellt, deren Bedeutung heute nicht geringer einzustufen ist als damals:
Schritt 1:
„Aufhebung von Normen, die die Gewalt in Gesellschaft und Familie legitimieren und verherrlichen.“
- So lange wir als Gesellschaft im Glauben fortfahren, dass Schläge gegen Kinder nötig, sinnvoll und für die Entwicklung der Kinder gut sind,
- solange wir im Glauben fortfahren, dass physische Gewalt ein effizientes Mittel zur Bestrafung von Menschen ist und
- solange wir akzeptieren, dass Gewalt ein Mittel zur Lösung von Problemen und zur Selbstdurchsetzung inner- und außerhalb der Familie ist, werden wir in Familie und Gesellschaft ein hohes Ausmaß an Gewalt haben.
Schritt 2:
„Reduktion von gesellschaftlichen Stressbedingungen, die die Gewalt fördern.“
Armut und Arbeitslosigkeit können schwerwiegende Folgen für die betroffenen Personen haben (gesellschaftliche Stigmatisierung, Resignation, Verringerung des Selbstwertgefühls, etc.).
Gewalt scheint eine naheliegende Form zu sein, diesen Enttäuschungen und Verbitterungen Luft zu verschaffen. In der Eliminierung von Armut sehen die Autoren und Autorinnen deshalb eine weitere (allerdings nicht hinreichende) Voraussetzung zur Gewaltreduktion.
Schritt 3:
„Integration von Familien in verwandtschaftliche, gesellschaftliche Netzwerke.“
Menschen, die keine Freunde und Verwandten haben, an die sie sich in belastenden Momenten wenden können, neigen eher dazu, anderen Familienmitgliedern physische Gewalt anzutun.
Es verwundert deshalb nicht, dass eines der häufigsten Merkmale von Familien, in denen Kinder misshandelt werden, die Isolation ist. Den Faktoren, welche zur Reduktion von Isolation und Entfremdung beitragen, ist daher in der Forschung besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Schritt 4:
„Abbau des Sexismus in Gesellschaft und Familie.“
Macht und Ungleichheit in der Familie einerseits sowie ihre Legitimierung durch herkömmliche, patriarchalische und institutionalisierte Modelle andererseits müssen zugunsten von egalitären Beziehungen (geteilte Verantwortung auf der Basis von Interessen, Kompetenzen und Kapazitäten) überwunden werden.
Schritt 5:
„Den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen.“
In der gesamten, für die Misshandlungsproblematik relevanten Literatur wird auf die Übertragung von Gewaltnormen und -mechanismen von einer Generation auf die nächste verwiesen.
Solange diese Übertragung nicht durchbrochen wird, kann häusliche Gewalt nicht effektiv reduziert werden. Ein wesentliches Mittel, um den Zyklus der Gewalt zu durchbrechen, sehen die Autoren und Autorinnen in der Verbesserung der erzieherischen Kenntnisse und Kompetenzen der Eltern.
Aus der neuesten Literatur geht klar hervor, dass Präventionsansätze:
- keine punktuelle Angelegenheit sein dürfen, sondern eine permanente Aufgabe sein müssen;
- durch verschiedene Bereiche mitgetragen werden müssen: nationale und kommunale Politik, Massenmedien, Gesundheits- und Hilfesysteme, Schule, Elternbildung, Wirtschaft, usw.;
- sich den vielfältigen Ursachenfaktoren der Kindesmisshandlung stellen müssen und
- sowohl generelle (z.B. finanzielle Unterstützung von Familien) wie auch spezifische Aspekte (z. B Förderung entwicklungspsychologischer Kenntnisse) berücksichtigen müssen.
LG Günther Ebenschweiger