10. April 2022

Tiefe emotionale Betroffenheit

Die Schulleitung und Pädagog:innen einer Schule bitten mich, in einer Klasse ein Sozialtraining abzuhalten. Sie sagen: „Das ist eine sehr schwierige Klasse und ganz besonders die „Elisa“ (Name geändert) teilt ordentlich aus!“ Am Ende des ersten Tages dann die Frage als anonyme Übung: „Gibt es ein Mädchen oder einen Buben in der Klasse, an der, an dem, wiederholt Menschenrechte verletzt werden?“ Viele Schüler:innen schreiben mir dazu einen Namen auf: „Elisa“! Die erste Reaktion der Klassenleitung: „Herr Ebenschweiger, das kann nicht sein, die Schüler:innen haben offenbar die Frage falsch verstanden!“

Am 2. Tag dann die systemische Intervention: Dabei stellt sich heraus, dass „Elisa“ seit Jahren brutal gemobbt wurde und ihr „ordentliches Austeilen“ eine – wie wir jetzt wissen – eine hilflose Strategie gegen diese massive Gewalt von Schüler:innen ist. In der „großen Pause“ – als ich das Ergebnis dem Lehrerkollegium mitteile – wird es mucksmäuschenstill, die Pädagog:innen sitzen mit hängenden Köpfen da und überall ist die emotionale Betroffenheit sehr groß. Eine Pädagog:innen bricht dann ihr Schweigen und sagt: „Wir sind – wie Sie ja sehen – sehr bestürzt, weil wir die „Elisa“ immer als „Täterin“ und nie als „Opfer“ gesehen und wir mit unserer Haltung das jahrelange Martyrium mitgetragen haben!“

„Gut gemachtes Mobbing erkennst du nicht!“ lautet ein Spruch. Mobbing ist es kaum zu sehen, zu hören oder zu spüren. Was ich mir wünsche ist, dass Bezugspersonen professionell(er) agieren und daher – egal welches Verhalten jemand zeigt – neutral bleiben und so einem Opfer die Chance zur Hilfe anbieten.

Liebe Grüße,

Günther